Ahr-Psalm
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Am 28. August 2021 wurde im Hohen Dom zu Aachen ein ökumenischer Gottesdienst für die Opfer des Ahr-Hochwassers vom 14./15. Juli 2021 gefeiert, und vom ZDF live übertragen. Dort wurde er von Stephan Wahl stammende Ahr-Psalm vorgetragen:[1]
- Schreien will ich zu dir, Gott, mit verwundeter Seele,
- doch meine Worte gefrieren mir auf der Zunge.
- Es ist kalt in mir, wie gestorben sind alle Gefühle,
- starr blicken meine Augen auf meine zerbrochene Welt.
- Der Bach, den ich von Kind an liebte,
- sein plätscherndes Rauschen war wie Musik,
- zum todbringenden Ungeheuer wurde er,
- seine gefräßigen Fluten verschlangen ohne Erbarmen.
- Alles wurde mir genommen.
- Weggespült das, was ich mein Leben nannte.
- Mir blieb nur das Hemd nasskalt am Körper,
- ohne Schuhe kauerte ich auf dem Dach.
- Stundenlang schrie ich um Hilfe,
- um mich herum die reißenden Wasser.
- Wo warst du Gott, Ewiger,
- hast du uns endgültig verlassen?
- Baust du längst an einer neuen Erde,
- irgendwo fern in deinen unendlichen Weiten?
- Mit tödlichem Tempo füllten schlammige Wasser die Häuser,
- grausig ertranken Menschen in ihren eigenen Zimmern.
- Ist dir das alles völlig egal, Unbegreiflicher?
- Du bist doch allmächtig, dein Fingerschnippen hätte genügt.
- Die Eifernden, die dich zu kennen glauben, sagen,
- eine Lektion hättest du uns erteilen wollen, eine deutliche,
- eine Portion Sintflut als Strafe für unsere Vergehen,
- für unsere Verbrechen an der Natur, an deiner Schöpfung.
- Ihre geschwätzigen Mäuler mögen für immer verschlossen sein,
- nie wieder sollen sie deinen Namen missbrauchen,
- für ihre törichten Besserwissereien, ihr bissiges Urteil
- mit erhobenem Zeigefinger, bigott kaschiert.
- Niemals will ich das glauben, niemals,
- du bist kein grausamer Götze des Elends,
- du sendest kein Leid, kein gnadenloses Unheil
- und hast kein Gefallen an unseren Schmerzen.
- Doch du machst es mir schwer,
- das wirklich zu glauben.
- Ich weiß, wir sind nicht schuldlos an manchem Elend,
- zu leichtfertig missbrauchen wir oft unsere Freiheit.
- Doch warum siehst du dann zu, fährst nicht dazwischen,
- bewahrst uns nicht vor uns selbst?
- Dein Schweigen quält meine Seele,
- ich halte es fast nicht mehr aus.
- Wie sich Schlamm und Schutt meterhoch türmen,
- in den zerstörten Straßen und Gassen
- und deren Schönheit sich nicht mehr erkennen lässt,
- so sehr vermisst meine Seele dein Licht.
- Meine gewohnten Gebete verstummen
- meine Hände zu falten gelingt mir nicht.
- So werfe ich meine Tränen in den Himmel
- meine Wut schleudere ich dir vor die Füße.
- Hörst du mein Klagen, mein verzweifeltes Stammeln,
- ist das auch ein Beten in deinen Augen?
- Dann bin ich so fromm wie nie,
- mein Herz quillt über von solchen Gebeten.
- Doch lass mich nicht versinken in meinen dunklen Gedanken,
- erinnere mich an deine Nähe in früheren Zeiten.
- Ich will dankbar sein für die Hilfe, die mir zuteilwird,
- für die tröstende Schulter, an die ich mich anlehne.
- Ich schaue auf und sehe helfende Hände,
- die jetzt da sind, ohne Applaus, einfach so.
- Die vielen, die jetzt kommen und bleiben
- die Schmerzen lindern, Wunden heilen,
- die des Leibes, wie die der Seele,
- mit langem Atem und sehr viel Geduld.
- Auch wenn du mir rätselhaft bist, Gott,
- noch unbegreiflicher jetzt, unendlich fern,
- so will ich dennoch glauben an dich,
- widerständig, trotzig, egal, was dagegen spricht.
- Sollen die Spötter mich zynisch belächeln,
- ich will hoffen auf deine Nähe an meiner Seite.
- Würdest du doch nur endlich dein Schweigen beenden,
- doch ich halte es aus und halte dich aus, oh Gott.
- Halte du mich aus! Halte mich!
Video
- ↑ Quelle: Hoher Dom zu Aachen: Ökumenischer Gottesdienst für die Opfer der Flutkatastrophe | 28.08.2021 | aus dem Hohen Dom zu Aachen | 10:00 Uhr live im ZDF, fernsehen.katholisch.de, ohne Angabe eines Veröffentlichungsdatums