Lager „Rebstock“
Das Lager „Rebstock“, eines von insgesamt 139 Außenlagern des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar, war ein bombensicherer geheimer Rüstungsbetrieb, der 1943 in fünf Eisenbahn-Tunneln im Ahrtal eingerichtet wurde und in dem Bodenanlagen für die „Vergeltungswaffe“ V2 montiert wurden. Neben zivilen und militärischen Arbeitskräften sind dort bis zur Auflösung des Lagers im Dezember 1944 insgesamt 1500 Menschen aus acht Nationen zur Arbeit gezwungen worden.
Einleitendes
Die Westalliierten bombardierten im Kriegsjahr 1943 zunehmend deutsche Rüstungsfabriken. Das Rüstungsministerium in Berlin beschloss deshalb, die Betriebe für die neuen Vergeltungswaffen V1 und V2 bombensicher untertage zu verlegen. Im Ahrtal gab es fünf Eisenbahn-Tunnel, die sich für diesen Zweck eigneten. Aus militärischen Gründen war nämlich in den Jahren 1916 bis 1918, während des Ersten Weltkriegs, eine Eisenbahnstrecke zwischen Liblar bei Köln und Rech an der Ahr geplant und auch weitgehend fertig gestellt worden. Für diese Strecke wurden zwischen Ahrweiler und Rech auf wenigen Kilometern Streckenlänge fünf Eisenbahntunnel für eine zweigleisige Streckenführung gebaut. Die Eisenbahnstrecke und die Tunnel sind aber nie für den Eisenbahnverkehr genutzt wurden. Um von Importen aus Frankreich unabhängig zu sein, waren in den Jahren von 1936 bis 1943 in den Eisenbahntunneln vielmehr Champignons angebaut worden. Ab Frühsommer 1943 wurden die Tunnels dann zum Lager „Rebstock“ umfunktioniert. In diesem bombensicheren Untertage-Rüstungsbetrieb ging es um zwei Projekte:
- Die Rüstungsfirma J. Gollnow & Sohn aus Stettin ließ dort ab Oktober 1943 Bodenanlagen für den Abschuss der taktischen Flüssigkeitsrakete V2 montieren.
- Im Rahmen der Maßnahme „Stephan“ sollte das Volkswagenwerk als Generalunternehmer ab September 1944 die V1 produzieren. Dieses Projekt wurde allerdings nicht, wie zunächst geplant, an der Ahr realisiert, sondern ins Lager „Mittelbau-Dora“ bei Nordhausen im heutigen Bundesland Thüringen verlagert.
Das für den Ausbau der Tunnels zuständige Rüstungskommando Koblenz beauftragte Handwerksfirmen aus dem Ahrtal damit, die Tunnel für die geplante Produktionsstätte frei zu räumen, elektrisches Licht sowie Stromleitungen zu legen und einen Tunnelboden zu betonieren. Ab Herbst 1943 wurden bei diesem Ausbau auch Zwangsarbeiter eingesetzt. Neben zivilen und militärischen Arbeitskräften sind in dem unterirdischen Rüstungsbetrieb bis zu seiner Auflösung im Dezember 1944 insgesamt 1500 Menschen aus acht Nationen zur Arbeit gezwungen worden. Um die Häftlinge unterzubringen, wurden nördlich des Bahndamms, der Kuxberg- und Trotzenbergtunnel miteinander verband, elf Baracken gebaut. Ein weiterer Lagerbereich bestand aus drei großen Baracken, die auf dem Bahndamm zwischen dem Sonderbergtunnel oberhalb von Dernau und dem Herrenbergtunnel bei Rech aufgestellt wurden. Die Baracken waren mit Stacheldraht umzäunt und mit Wachtürmen versehen. KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter aus den beiden von der SS streng bewachten Barackenlagern mussten unter mangelhafter Unterbringung, unzureichender Ernährung, fehlender Hygiene und Schikanen der SS-Wachen und krimineller Kapos leiden. Das zivile und militärische Personal hingegen wurde in einer Landwirtschaftsschule in der Nähe sowie in Hotels, Pensionen und Gebäuden von Winzergenossenschaften untergebracht, die auch als Verwaltungsräume genutzt wurden.
Lager „Rebstock“
Das Lager „Rebstock“ war eines von insgesamt 139 Außenlagern des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar. Im KZ Buchenwald und seinen Außenlagern wurden insgesamt fast 280.000 Menschen gefangen gehalten, wobei in den Außenlagern hauptsächlich Flugzeuge, Raketen und Munition produziert worden sind. Ab Frühsommer 1943 arbeiteten etwa 500 Handwerker ziviler Firmen aus dem Ahrtal auf der Baustelle in Marienthal – darunter ein Konsortium der Elektrofirmen Pohl, Wester, Lohmer und Zirfas sowie die Baufirma Fix aus Dernau. Das Arbeitsamt Ahrweiler unterstützte das Projekt, indem es zivile Hilfskräfte und Kriegsinvaliden aus der Region für die Arbeit im Lager dienstverpflichtete. Ab Herbst 1943 kamen 120 SS-Frontarbeiter aus den Niederlanden und 500 italienische Militärinternierte hinzu, die bei den folgenden Arbeiten helfen mussten:
- Betonieren eines tragfähigen Bodens in die Tunnelröhren,
- Mauern von Werkstatträumen und
- Bau der Lagergebäude in Marienthal.
Nachdem Tunnel und Baracken fertig waren, stellte die Firma Gollnow & Sohn ab Oktober 1943 im Lager „Rebstock“ V2-Bodenanlagen fertig. Dazu lieferten Opel, Steyr, Kraus-Maffei und Meiller halbfertige Fahrzeuge, die in dem Untertage-Betrieb im Ahrtal mit dort hergestellten Teilen komplettiert wurden. Bis Sommer 1944 befand sich die V2 jedoch noch in der Versuchsphase. Auch an den Bodenanlagen wurden deshalb immer wieder Änderungen vorgenommen. Deshalb waren über Wochen Soldaten der V2-Schießeinheiten im Lager „Rebstock“. Aus Gründen der Geheimhaltung trugen sie meistens Zivilkleidung. Nach erfolgreichen Schießversuchen im Sommer 1944 wurde für August der Fronteinsatz der V2 befohlen. Acht Batterien sollten mit Gerät für je drei Schießzüge ausgestattet werden. Dazu musste das Lager „Rebstock“ die volle Produktion aufnehmen. Dazu forderte die Firma Gollnow & Sohn bei der SS mehrere Hundert KZ-Häftlinge an.
Nach alliierten Bombentreffern am 11. November 1944 auf das Barackenlager Marienthal verlegte die SS die Schlafplätze der Häftlinge aus den Baracken in den Trotzenbergtunnel. Dadurch verschlechterten sich die Lebensbedingungen für die etwa 200 Häftlinge weiter und die Krankenrate stieg. Bei den immer häufiger werdenden Fliegerangriffen suchten nun auch die Einwohner von Dernau und Marienthal im Tunnel Schutz. So wurden sie Augenzeugen des Schicksals der Häftlinge und der Schikanen und Gewalttaten des SS-Wachpersonals.
Anfang Dezember 1944 wurde der Betrieb von Marienthal ins Lager „Rebstock-neu“, auch „Außenkommando Adorf“ genannt, in die Kleinstadt Artern in Nordthüringen verlegt: Am 1. Dezember sind 100 und am 13. Dezember die letzten 99 Häftlinge aus dem Ahrtal dorthin verlegt worden.
Maßnahme „Stephan“
Unabhängig von der Montage der V2-Bodenanlagen forderte das Volkswagenwerk als Generalunternehmer für die V1-Produktion im März 1944 beim Rüstungsamt der Wehrmacht Untertageflächen für die Endmontage der V1 an. Das Rüstungskommando Lüneburg teilte dem Volkswagenwerk daraufhin im März 1944 die Erzgrube Tiercelet in Nordlothringen, also die Mine du syndicat de Tiercelet im Ort Thil, zu. Die Organisation Todt beginnt mit mehreren tausend Mann mit den Einrichtungsarbeiten. Ab dem 21. Juni 1944 wurde diese Grube von 500 weiteren Häftlingen aus dem Konzentrationslager Auschwitz, die dem KZ Natzweiler organisatorisch zugeteilt worden waren. Bei diesen Häftlingen handelte es sich um ungarische Juden, die zuvor im KZ Auschwitz als Arbeitssklaven ausgesucht worden waren. Eine zweite Gruppe aus 300 ungarischen Juden war im Hauptwerk Fallersleben in der V1-Produktion angelernt worden. Am 6. Juli 1944 wurde auch sie nach Tiercelet verlegt. Die Häftlinge aus Fallersleben sollten in Tiercelet als Stammbelegschaft dienen und die 500 übrigen Häftlinge anlernen.
Ende August 1944, kurz vor der geplanten Produktionsaufnahme in der 230.000 Quadratmeter großen Anlage, war die US-Armee bereits so nah herangerückt, dass die fast betriebsbereite Anlage in Tiercelet (Deckname „Erz“) verlassen wurde. Die meisten Maschinen mussten dabei zurückbleiben. Das Personal konnte nur mit Mühe evakuiert werden. Die Montage der V1 sollte zusätzlich mit 1000 Stück monatlich auch ins Lager „Rebstock“ verlegt werden. Denn bereits ab Juni 1944 war Rudolph Stephan, ein Experte des VW-Werkes, für diese Verlagerungen zuständig. Nach ihm wurde dieses Projekt in Dernau Maßnahme „Stephan“ genannt. Dafür sind ihm im Ahrtal vier Tunnel für die V1-Endmontage zugewiesen worden:
- 4800 Quadratmeter im Silberbergtunnel,
- 11.600 Quadratmeter im Trotzenbergtunnel,
- 1000 Quadratmeter im Sonderbergtunnel und
- 3200 Quadratmeter im Herrenbergtunnel.
Überraschend wurden die 300 ungarischen Juden aus Tiercelet, allesamt Facharbeiter, am 2. September 1944 nach Dernau transportiert und dort in den Baracken auf dem Bahndamm oberhalb des Ortes untergebracht. Die Männer verrichteten im Lager „Rebstock“ nur Hilfsarbeiten und wurden von den SS-Wachen besonders drangsaliert. Weil die Firma Gollnow & Sohn zu dieser Zeit aber bei voller Produktion nicht nur den ihr zugebilligten Kuxbergtunnel, sondern auch die vier übrigen Tunnel nutzte, war die geplante Verlagerung der V1-Produktion ins Ahrtal nicht möglich. So fiel die Entscheidung, im Lager „Rebstock“ weiterhin nur V2-Bodenanlagen zu montieren und die V1-Produktion ab Oktober 1944 unter SS-Regie im „Mittelbau-Dora“ nördlich von Nordhausen im heutigen Bundesland Thüringen zu konzentrieren. Die 300er-Gruppe wurde deshalb am 22. September 1944 von Dernau ins Konzentrationslager Mittelbau-Dora verlegt. Die SS-Frontarbeiter, die italienischen Militärinternierten und die Amersfoort-Häftlinge, die beim Tunnelausbau gearbeitet hatten, wurden ebenfalls zu anderen Einsatzorten verlegt. Im Lager „Rebstock“ sind deshalb ab Ende September 1944 nur noch Buchenwald-Häftlinge eingesetzt worden. Ihr Einsatz dort dauerte noch bis zum 13. Dezember 1944.
Kurzchronik[1]
17./18. August 1943: britische Bombenangriffe auf die Heeresversuchsanstalt Peenemünde
25.-27. September 1943: „Erkundungsreise“ von Peenemünder Beauftragten zu Tunnelanlagen an der Ahr
1. Dezember 1943: Beginn der Bauarbeiten zur Erstellung provisorischer Fertigungsräume im Vorhaben „Rebstock“
15. Februar 1944: Fertigstellung von 26.000 Quadratmetern Fertigungsfläche im Silberberg- und im Kuxberg-Tunnel
22. April 1944: vollständiger Umzug der in das A-4-Programm eingebundenen Betriebsabteilung der Firma Gollnow und Sohn
23. Juni 1944: Angebot von Wernher von Braun an Ferdinand Porsche zur Mitnutzung des Trotzenbergtunnels für die Montage der Flugbombe Fi 103
29. Juni 1944: Auftrag der Volkswagenwerk GmbH an die Mittelwerk GmbH zur Einrichtung von „Rebstock“ für die Monatsfertigung von 3500 Flugbomben
10. Juli 1944: Abfahrt des ersten Transportzuges aus der Stadt des KdF-Wagens für das Volkswagen-Vorhaben „Stephan“
4. August 1944: Abfahrt des ersten Transports mit 168 Niederländern aus dem Polizeilichen Durchgangslager Amersfoort nach Brück/Ahr
5. August 1944: Besprechung zwischen Vertretern des Volkswagenwerks, der Organisation Todt und der SS über „Baracken zur Unterbringung der Häftlinge“
8. August 1944: Ernennung von Hans Kammler zum Generalbevollmächtigten für die Produktion und den Einsatz der A 4
18. August 1944: Abfahrt des zweiten Transports mit 199 Niederländern aus dem Polizeilichen Durchgangslager Amersfoort nach Brück/Ahr
21. August 1944: Zusammenstellung des Vorauskommandos von 30 Häftlingen im Konzentrationslager Buchenwald
27. August 1944: Aufnahme des KL-Außenlagers „Rebstock“ in die tägliche Stärkemeldung
1. September 1944: Ankunft von 300 jüdischen Häftlingen aus dem KL-Außenlager „Longwy“ im Lager „Rebstock (Stephan)“
4. September 1944: Transport von 176 Häftlingen aus dem KL Buchenwald nach „Rebstock“
14. September 1944: Abfahrt eines weiteren Transports mit 200 Häftlingen aus dem KL Buchenwald - Rückkehr aller Häftlinge am 20. September 1944 ins Hauptlager
16. September 1944: gelungene Flucht des französischen Häftlings Chester Ladd
21. September 1944: Abtransport der niederländischen Zwangsarbeiter
22. September 1944: Abtransport der 300 jüdischen Häftlinge zum Außenlager „Dora“ des Konzentrations-Hauptlagers Buchenwald mit Ankunft am 27. September 1944 - Erfassung als Neuzugänge aus dem Konzentrationslager Natzweiler am 3. Oktober 1944
25. Oktober 1944: Übergabe des am gleichen Tag verstorbenen französischen Häftlings Roger Brunelot an die Gestapo Koblenz wegen „Sabotage“
11. November 1944: Bombenschäden am Barackenlager „Rebstock“ und nachfolgende Verlegung der Häftlingsunterkunft in den Mittelteil des Trotzenbergtunnels
27. November 1944: Abtransport von 100 Häftlingen nach Artern in das Konzentrations-Außenlager „A-dorf“
14. Dezember 1944: Abtransport der restlichen 99 Häftlinge nach Artern in das Außenlager „A-dorf“ des Konzentrationslagers Mittelbau, dort am 18. Dezember 1944 als „Zugänge“ erfasst
28. Dezember 1944: Absetzung der 199 dem Konzentrationslager Mittelbau zugeführten Häftlinge aus dem Zuständigkeitsbereich des Konzentrationslagers Buchenwald
Häftlingsgruppen
Insgesamt 1500 Menschen aus acht Nationen – Holland, Italien, Polen, Frankreich, Russland, Ungarn, Tschechien und Deutschland – mussten im Lager „Rebstock“ und im Rahmen der Maßnahme „Stephan“ Zwangsarbeit leisten:
„SS-Frontarbeiter“ aus den Niederlanden
Beim Ausbau der fünf Tunnel wurden vom Oktober 1943 bis zum Frühjahr 1944 120 sogenannte „SS-Frontarbeiter“ eingesetzt. Bei dieser Häftlingsgruppe handelte es sich um niederländische „Arbeitsverweigerer“, die vor die Wahl gestellt worden waren, „freiwilligen Arbeitsdienst“ zu leisten oder in ein Konzentrationslager eingewiesen zu werden. Am 30. September 1943 arbeiteten insgesamt 255.142 niederländische „SS-Frontarbeiter“ in der deutschen Kriegswirtschaft. Ähnlich wie die KZ-Häftlinge, war ein großer Teil von ihnen der SS unterstellt. Die Arbeitsbedingungen für die SS-Frontarbeiter waren ähnlich schlecht wie die der KZ-Häftlinge.
Italienische „Militärinternierte“
Neben den 120 „SS-Frontarbeitern“ aus den Niederlanden wurden beim Ausbau der fünf Tunnel im Ahrtal zwischen Oktober 1943 und Herbst 1944 500 sogenannte „Militärinternierte“ (IMIs) aus Italien eingesetzt. Bei dieser Häftlingsgruppe handelte es sich um gefangene Soldaten der italienischen Armee. Nachdem Italien im September 1943 aus der sogenannten „Achse“ mit NS-Deutschland und Japan ausgeschieden und auf die Seite der Alliierten gewechselt war, hatte die deutsche Wehrmacht nämlich in Italien etwa 600.000 italienische Soldaten entwaffnet. Von der Mehrheit der Wehrmachtssoldaten und von der deutschen Bevölkerung wurden sie als „Verräter“ angesehen. Auf Befehl Hitlers ist diesen Italienern der Kriegsgefangenen-Status versagt worden, und fast alle sind ins Deutsche Reich deportiert worden. Dort wurden sie ebenso wie KZ-Häftlinge als Arbeitssklaven ausgebeutet und unmenschlich behandelt. Am 1. Februar 1944 gab es insgesamt 594.709 IMIs im Deutschen Reich, die in Verantwortung des deutschen Oberkommandos Zwangsarbeit leisten mussten. Etwa 45.000 von ihnen kamen in deutschen Lagern um. Die italienischen Militärinternierten, die als Hilfsarbeiter beim Tunnelausbau im Lager „Rebstock“ eingesetzt wurden, waren zunächst im Barackenlager des Luftwaffenübungsplatzes Ahrbrück untergebracht. Von dort sind sie täglich mit der Reichsbahn nach Dernau transportiert worden. Auch für die Maßnahme „Stephan“ wurden im Sommer 1944 in Ahrbrück 500 Unterbringungsplätze für IMIs angefordert. Ab Ende September 1944 verliert sich die Spur dieser Militärinternierten. Zivile Zeugen aus Dernau berichteten später vom erbärmlichen Zustand dieser Menschen. Lediglich das Schicksal eines einzigen IMI, des am 26. November 1913 geborenen Emilio de Bianchi, ist dokumentiert: Aus dem Gräberverzeichnis der Pfarrei Kesseling geht hervor, dass er am 17. Januar 1944 in Ahrbrück verstorben ist.
Zwangsarbeiter aus Holland
Ab März 1943 nutzte die Polizei das „erweiterte Polizeigefängnis“ Kamp Amersfoort, 20 Kilometer östlich von Utrecht gelegen, um junge Männer einzusperren, die wegen „Arbeitsverweigerung“ in den Niederlanden zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt werden sollten. Insgesamt 26.705 Verhaftete wurden in dem Camp interniert, von denen 13.243 zur Zwangsarbeit und 3152 in Konzentrationslager nach Deutschland deportiert worden sind. Am 4. August 1944 kam ein erster Transport von 168 holländischen Zwangsarbeitern aus dem Durchgangslager Amersfoort an der Ahr an. Sie wurden zunächst im Barackenlager des Luftwaffenübungsplatzes Ahrbrück untergebracht, von wo sie täglich mit der Reichsbahn nach Dernau transportiert wurden. Am 18. August 1944 folgte ein zweiter Transport mit 199 Häftlingen aus Amersfoort nach Brück. Sie wurden u.a. dazu eingesetzt, drei große Baracken auf dem Bahndamm zwischen Dernau und Rech sowie eine Feldbahn vom Herrenberg- bis zum Trotzenbergtunnel zu bauen. Von den 367 holländischen Zwangsarbeitern, die ab Ende September andernorts eingesetzt wurden, kehrten 17 nicht mehr lebend in ihre Heimat zurück.
Häftlinge aus dem Konzentrationslager Buchenwald
Die Firma Gollnow & Sohn setzte vom 21. August 1944 bis 13. Dezember 1944 in Marienthal 213 Häftlinge aus dem Konzentrationslager Buchenwald als Produktionshelfer ein. Ab 21. August 1944 trafen 30 Häftlinge aus Buchenwald als Vorkommando auf dem Schienenweg an der Ahr ein. Der zweite Transport aus dem KZ Buchenwald traf am 4. September 1944 ein. Er bestand aus 183 Häftlingen, davon 16 Funktionshäftlinge. Die Gruppe bestand aus fünf Deutschen und Reichsdeutschen, vier Tschechen, 88 Polen, 17 Russen und 99 Franzosen. Für jeden Buchenwald-Häftling gab es eine Karteikarte. Als Haftgrund wurde dort neben den allgemeinen Formulierungen wie „Politischer Franzose“ oder „Politischer Pole“ auch „kommunistisch“, „ehemalige russische Kriegsgefangene“, „vorbestraft“, „homosexuell“, „ohne festen Wohnsitz/Reisender“, „ehemaliger russischer Zivilarbeiter“ und „wehrunwürdig“ angegeben. Mit diesem Häftlingskontingent war es möglich, die Fertigung der V2-Bodenanlagen hoch zu fahren.
Am 14. September 1944 verließ ein weiterer Häftlingstransport mit 200 Häftlingen das KZ Buchenwald mit dem Bestimmungsort Marienthal. Der Transportzug stand jedoch sechs Tage irgendwo auf der Strecke, bevor er am 20. September aus unbekannten Gründen nach Buchenwald zurückkehrte. Zwischen dem 6. Oktober und dem 7. Dezember 1944 sind in drei Transporten neun Häftlinge aus dem KZ Buchenwald als Ergänzung oder Ersatz für nicht mehr arbeitsfähige Personen zum Lager „Rebstock“ transportiert worden.
Ungarische Juden
Am 2. September 1944 traf in Dernau ein Häftlingstransport mit 300 ungarischen Juden ein, allesamt Metallfacharbeiter. Sie waren im Mai 1944 vom VW-Betriebsingenieur Arthur Schmiele persönlich im KZ Auschwitz als Arbeitskräfte für die V1-Serienfertigung ausgewählt worden. Im VW-Hauptwerk in Fallersleben sind sie anschließend in die V1-Montage eingewiesen worden. In dem unterirdischen Fertigungs- und Montagewerk in Tiercelet in Nordlothringen (Deckname „Erz“) sollten die Männer die Kernbelegschaft bilden und andere Häftlinge anlernen. So wurde die 300er-Gruppe am 6. Juli 1944 nach Tiercelet verlegt. Kurz vor Beginn der geplanten Produktion rückte die US-Armee jedoch so nahe an die 23 Hektar große Anlage heran, dass das Personal überstürzt evakuiert wurde. Weil im Rahmen der Maßnahme „Stephan“ auch im Ahrtal eine V1-Endmontage geplant war, wurden die 300 Häftlinge am 2. September 1944 von Tiercelet nach Dernau transportiert und in Baracken auf dem oberen Bahndamm untergebracht. Nachdem die V1-Montage in Dernau zugunsten der Montage der V2-Bodenanlagen aber abgesagt worden war, sind die Häftlinge am 27. September 1944 in das KZ Mittelbau-Dora verlegt worden. Viele von ihnen kamen dort und bei den späteren Todesmärschen ums Leben.
Tote und Flüchtige unter den Zwangsarbeitern und Häftlingen[2]
Nach Angaben von Wolfgang Gückelhorn gab es unter den fünf Gruppen von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen des Lagers „Rebstock“ nachweislich fünf Todesopfer:
- Aus dem Kreis der 500 italienischen Militärinternierten (IMI), die im Lager Brück untergebracht waren und die in Marienthal bzw. Dernau beim Einrichten der Untertageproduktion arbeiteten, gab es ein Todesopfer. Der Gefreite Emilio De Bianchi, geboren am 26. November 1919, verstarb am 17. Januar 1944 in Ahrbrück und wurde auf dem Friedhof Kesseling beerdigt. Arbeitgeber der IMI war die Baufirma Fix, die die Arbeitskräfte vom Gauarbeitsamt zugeteilt bekam. Als Todesursache wird in der amtlichen Todesbescheinigung des Amtes Altenahr angegeben: Herzschwäche bzw. Todesursache unbekannt. Das Wehrmachts-Gefangenenlager Stalag XII D Trier, in dem der Italiener geführt wurde, vermerkte: gestorben am 17. Januar 44 in Brück-Ahr Kr. Ahrweiler an Herzschwäche infolge übermässiger organischer Entkräftung. Dass Emilio De Bianchi Angehöriger der 500 IMIs war, geht daraus hervor, dass er vom Amt Altenahr als Insasse des Gefangenenlagers in Ahrbrück mit der Erkennungs- bzw. Gefangenennummer 40839 beschrieben worden ist. Dies ist dieselbe Nummer wie im Stalag.
Von den Buchenwald-Häftlingen kamen vier Menschen auf unnatürliche Weise ums Leben. Kranke Häftlinge wurden dabei vor ihrem absehbaren Tod in das Hauptlager Buchenwald zurücktransportiert:
- Am 13. November 1944 wurde der Pole Mieczeslaw Slonski mit der Nummer 71036 nach Buchenwald zurückgebracht, wo er am 1. Dezember 1944 an Lungentuberkulose verstarb.
- Die Franzosen André Steibel (77613) und Louis Sailer (78778) kamen am 17. November 1944 ins Hauptlager zurück, wo Steibel am 2. Dezember 1944 an Lungentuberkulose und Sailer am 5. Dezember 1944 an Herzschwäche, eitriger Rippenfellentzündung und Lungenentzündung verstarben. Diese Erkrankungen sind, vermutet Gückelhorn, wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass alle Häftlinge nach den Bombentreffern auf das Barackenlager am 11. November 1944 auch für ihre Ruhephasen in den Trotzenbergtunnel verlegt worden waren. „Feuchtkalte Luft und fehlendes Tageslicht rund um die Uhr können zu den Krankheiten geführt haben“, so Gückelhron, „Todesursache war in allen Fällen die Arbeits- und Lebensbedingungen in Lager Rebstock.“
- Der französische Buchenwaldhäftling Roberto Girard (78871) wurde von der Lager-SS der „Sabotage“ beschuldigt und am 25. Oktober 1944 der Staatspolizei Koblenz übergeben, die Girard am selben Tag in Ehrenbreitstein ermordete. SS-Oberscharführer Karl Schmidt gab diese Hinrichtung allen Häftlingen zu deren Abschreckung bekannt (Zeugenaussage von Clement Verfaille).
Eine erfolgreiche Flucht auch dem Lager wurde aktenkundig. Der Franzose Chester Ladd mit der Buchenwald-Häftlingsnummer 81452 konnte am 16. September 1944, von den Wachposten unbemerkt, fliehen. In diesen Tagen wurde ein weiterer Häftlingstransport aus Buchenwald erwartet, sodass die SS-Wache einige Momente unaufmerksam war. Der Geflüchtete konnte nicht mehr ergriffen werden. Der Kommandant des Konzentrationslagers Buchenwald meldete diese Flucht erst am 6. Oktober 1944 an die 1. SS-WVHA-Amtsgruppe D und 2. das Reichs-Sicherheits-Hauptamt in Oranienburg bzw. Berlin.
Aufarbeitung
Juristische Aufarbeitung
Nach Kriegsende war das Lager „Rebstock“ im Ahrtal Jahrzehnte lang Tabuthema. Ermittlungen amerikanischer und französischer Untersuchungskommissionen ergaben, dass es auf dem Lagergelände in Marienthal einen Galgen gegeben hatte. Anzahl und Namen der Todesopfer konnten jedoch ebenso wenig ermittelt werden wie die Stellen, an denen die Opfer begraben wurden. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Koblenz kam dann 1986/87 eine Vielzahl von Belegen für Mitwisserschaft in der Bevölkerung zum Vorschein. Überlebende und zivile Augenzeugen berichteten, Häftlinge seien im Lager „Rebstock“ schikaniert und verletzt worden. Außerdem seien Häftlinge von heute auf morgen spurlos verschwunden. Weil die Zeugen jedoch keine gerichtlich verwertbaren Angaben zu Opfern oder Tätern machen konnten, wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt. Von den Tätern ist deshalb nie jemand zur Verantwortung gezogen worden.
Beispielhafte Aussagen von Zeugen:
- G.W., damals in Dernau: Besonders habe ich noch in Erinnerung, dass die Leute mit den graublau gestreiften Anzügen, runden Käppis und Holzschuhen angezogen waren. Einige der Leute gingen auch barfuß. Die Häftlinge sahen sehr schlecht aus, waren stark abgemagert und gaben einen üblen Geruch von sich. Weiter erinnere ich mich, dass sich um diese Häftlinge herum Schwärme von Fliegen bewegten. Da die Häftlinge für jeden erkennbar nur noch aus Haut und Knochen bestanden, gaben sie mir, wenn sie mich erkannten, immer wieder Zeichen, indem sie mit ihren Händen zu ihrem Mund hinführten, was Essen und Hunger bedeutete. Aus diesem Grunde habe ich beim Vorübergehen einer Gruppe von Häftlingen diesen immer wieder Lebensmittel, Obst, Gemüse und Brot zugesteckt, für das sie sich durch Gesten bedankten. Ich erinnere mich noch, dass an der Stelle des Bunkers (mit „Bunker“ war vermutlich ein Wasserbecken gemeint) brutalste Körperverletzungen geschahen. Dabei gaben die Häftlinge teilweise markerschütternde Schreie von sich, was die Peiniger jedoch nicht davon abhielt, weitere Quälereien durchzuführen. Alles das, was ich im Lager und auch auf der Strecke zum Eisenbahntunnel beobachtet habe, war schrecklich, unwürdig und ein Ort des Grauens.
- R.G. aus Dernau: Ich habe nach dem Krieg ein Waldgrundstück zwischen Marienthal und Ringen aufgesucht. Dort habe ich in der Hanglage einen Galgen vorgefunden. Das in der Erde befindliche Holz war so morsch, dass ich den Galgen umdrücken konnte. Er war drei Meter hoch und der Winkel im oberen Bereich durch eine Schrägstütze stabilisiert. Sein Standort lag etwa 250 Meter von den Baracken des KZ-Lagers Marienthal entfernt.
- H.G. aus Ahrweiler: Ende 1944 benutzte die Marienthaler Bevölkerung den Eisenbahntunnel in Richtung Dernau als Luftschutz-Unterkunft. Im vorderen Teil dieses Tunnels, gleich hinter dem Eingang, befanden sich mehrere Baracken, in denen sich u.a. auch SS-Leute in grauer Uniform aufhielten. Wiederholt konnte ich feststellen, dass einer der KZ-Häftlinge in eine der Baracken geführt wurde. Bald darauf erklangen aus dem Inneren erbärmlich laute Schreie, sodass ich annehmen musste, dass der Häftling in der Baracke geschlagen oder aber gequält wurde. Die übrigen Häftlinge mussten dabei vor der Baracke stehend die vorgenommenen Quälereien mit anhören. Diese Art, mit Menschen umzugehen, fand ich damals äußerst beschämend.
- G.K. aus Dernau: Das Lager auf dem Bahndamm war kein Arbeitslager, sondern ein Konzentrationslager. Es wurde im August 1944 zwischen Dernau und Rech errichtet. Zu beiden Seiten des Lagers befanden sich zwei Wachtürme, besetzt mit SS-Wachen, Maschinengewehre richteten sich auf das Lagergelände. Nachts wurde die Anlage mit starken Scheinwerfern angestrahlt. 1945 fand ich noch die Fundamente der Baracken und einen oben offenen unterirdischen Bunker. Darin sah ich in der rechten Ecke einen Haufen Holzschuhe und graublau gestreifte KZ-Kleidung. Zahlreiche Dernauer können meine Feststellungen bestätigen.
- A.T. aus Dernau: Im 2. Halbjahr 1944 ging ich mit meiner Freundin an einem Sonntag in den Weinbergen oberhalb von Dernau spazieren. Auf dem dort vorhandenen Bahndamm sahen wir innerhalb eines umzäunten Bereichs graue, kopfgroße Gebilde. Offensichtlich handelte es sich um Menschenköpfe, die in einem Zickzackgraben standen, wobei nur die Köpfe der nebeneinanderstehenden Personen zu sehen waren. Über dem Graben war ein Drahtverhau angebracht. Als wir interessierter in Richtung der Köpfe schauten, schrie uns ein Posten auf dem Wachturm zu: Haut ab, macht dass ihr wegkommt!
- Frau M. M.: Kann sich an einen Vorfall erinnern, der sich in der 2. Hälfte 1944 im Marienthaler Tunnel ereignete. Dabei hat ein sehr junger SS-Mann in der Baracke hinter dem Tunneleingang einen KZ-Häftling sehr stark zusammengeschlagen. Das Opfer blutete aus Nase und Mund. Frau M. konnte das Schlagen des SS-Mannes nur sehen, weil die Tür zu der Baracke offenstand. Als mehrere Marienthaler Frauen den SS-Mann vorwurfsvoll fragten, warum er das tue, hat dieser geantwortet, dass sein Chef ihm das Verprügeln befohlen habe.
Historische Aufarbeitung
Die historische Aufarbeitung des Lagers kam noch später in Gang. Dr. Uli Jungbluth veröffentlichte im Jahr 2000 eine erste umfangreiche Dokumentation zu dem Lager. Bei den Recherchen für seine Veröffentlichung durfte Jungbluth bei der Staatsanwaltschaft Koblenz sämtliche Ermittlungsakten einsehen. Er zitierte viele Häftlingsaussagen und gab Beobachtungen von Bewohnern des Ahrtals wider, die zweifelsfrei belegen, dass die Bevölkerung recht gut Bescheid wusste von dem Lager und dem Leid der dort arbeitenden Häftlinge und Zwangsarbeiter. Zwei Jahre nach Jungbluths Veröffentlichung, im Jahr 2002, brachte Wolfgang Gückelhorn eine Dokumentation über den Rüstungsbetrieb Lager „Rebstock“ heraus – mit bis dahin unveröffentlichten Fotos, Plänen und neuen Zeugenaussagen. Die tatsächlichen Dimensionen der Zwangsarbeit in den Eisenbahntunneln zwischen Ahrweiler und Rech kamen aber erst bei weiteren Recherchen von Wolfgang Gückelhorn in den Jahren 2015/16 zu Tage.
Aufschlussreiche Schlaglichter auf das Lager liefert ein Brief des für die Einrichtung von Untertage-Rüstungsfabriken zuständigen SS-Obergruppenführers Oswald Pohl, der das Lager „Rebstock“ Anfang Mai 1944 besichtigt hatte. In einem Beschwerdebrief vom 10. Mai 1944 an den Chef des Heereswaffenamtes, den Artillerie-General Emil Leeb, schrieb Pohl:
- Mit den Vorbereitungen wurde am 1.10.1943 begonnen. Infolge der unklaren Programmgestellung des OHK-HAP 11 (Oberkommando des Heeres, Heeres-Artillerie-Park 11) konnte erst am 1.12.43 tatsächlich der Bau in Angriff genommen werden und am 15.2.1944 übergeben werden. Es wurden in dieser Zeit geschaffen: 24.000 qm Fläche durch Ausbau der Tunnels, dazu durch den Einbau von zweiten Geschossen weitere 2.000 qm, insgesamt also 26.000 qm, die in 2 Tunnels von je 1.275 m Länge eingebaut wurden. (Damit waren der Kuxberg- und der Trotzenbergtunnel gemeint). Ferner wurde in 2 Tunnels von 600 (Silberbergtunnel) bzw. 120 m Länge (Sonderbergtunnel) der erforderliche Lagerraum und eine Umschlagestelle zum Materialumschlag von Normalspurgleis auf Elektrokarren bzw. L.K.W. bereitgestellt (Herrenbergtunnel). An Unterkünften für Arbeitskräfte wurde ein Barackenlager aus 11 massiven Unterkunftsbaracken sowie Baracken für Wirtschafts-, Gemeinschafts- und Bürozwecke errichtet (Marienthal, nördlich des Bahndamms). An Arbeitskräften waren eingesetzt: 500 Zivilarbeiter, 120 SS-Frontarbeiter, 500 ital. Militärinternierte. Die erforderlichen Bewetterungs-, Beheizungs- und Energieversorgungsanlagen wurden während der Bauzeit so rechtzeitig in Angriff genommen, dass sie nach Übergabe bereits voll in Betrieb genommen werden konnten. Die Anlage untersteht dem O.K.H., WaPrüf 11, das die Firma Gollnow Stettin eingesetzt hat. Wie ich bei der Besichtigungsfahrt feststellen konnte, sind die Fertigungsflächen in keiner Weise ausgenutzt. Die Einrichtungsarbeiten sind ebenfalls noch nicht zum Abschluss gebracht. Der Betrieb arbeitet bis heute noch in einer Schicht. Direktor Stöcker von der Firma Gollnow versuchte sogar, Arbeitskräfte von der Baustelle abzuziehen, um sie zum Ausbau und zur Verschönerung seiner Büroräume der in der Nähe beschlagnahmten Schule der Reichsbauernschaft einsetzen zu lassen. (Gebäude südlich der Kirchenruine) Ich bitte Sie, baldmöglichst dafür Sorge tragen zu wollen, dass entweder die geschaffene Fertigungsfläche voll belegt, oder die überschüssige Fläche umgehend dem Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, insbesondere Jägerstab, zur Verlagerung einer siegentscheidend wichtigen Fertigung zur Verfügung gestellt wird.
- Heil Hitler!
- gez. Pohl SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS
Die SS als Ausbeutungsbetrieb
Die historische Aufarbeitung machte einmal mehr deutlich, wie die SS und die Rüstungsfirma Gollnow & Sohn das Lager „Rebstock“ zu einem profitorientierten Wirtschaftsbetrieb machten, in dem Häftlinge ausgebeutet wurden, indem sie von der SS gegen Bezahlung als Arbeitskräfte an Gollnow & Sohn ausgeliehen wurden. Für Hilfsarbeiter stellte die SS der Firma Gollnow & Sohn bei zwölfstündiger Arbeit vier Reichsmark pro Arbeitstag in Rechnung. Die SS-Ärzte erhielten die Weisung, kranke und entkräftete Häftlinge unauffällig zu töten, wenn mit deren Gesundung in vertretbarer Zeit nicht zu rechnen war. So verschwanden auch in Marienthal und Dernau Häftlinge, die nicht mehr arbeiten konnten, spurlos und wurden durch andere Häftlinge aus dem KZ Buchenwald ersetzt.
Aus den monatlichen Forderungsnachweisen der Waffen-SS des Konzentrationslagers Buchenwald an das Kommando Rebstock der Firma Gollnow & Sohn ist ersichtlich, dass von dem von Gollnow & Sohn an die SS zu zahlenden Gesamtbetrag Tagessätze für die Verpflegung abgezogen wurden, weil nicht die SS, sondern die Rüstungsfirma für die Verpflegung verantwortlich war. Der Normalverpflegungssatz betrug 65 Reichspfennige je Tag, der für Schwerarbeiter 80 Pfennige. Die Häftlinge erhielten ihr Essen in der Regel aber erst, nachdem sich zuvor Kapos und Wachmänner bedient hatten. Der Rüstungsbetrieb arbeitete rund um die Uhr in zwei Schichten mit je 12 Stunden Arbeitszeit. Als sogenannte Funktionshäftlinge waren eingesetzt: ein Elektroingenieur, zwei Kapos, vier Vorarbeiter, drei Friseure, zwei Schuster, zwei Schneider, ein Arzt und ein Krankenpfleger. Ihre Aufgabe war es, die Einsatzfähigkeit der Produktionshelfer zu erhalten.
Gedenktafel in Dernau
Im Jahr 1986 bildete sich in Dernau eine Initiative zur Erhaltung des Andenkens an das Leid der Häftlinge des Lagers Rebstock. Sie führte dazu, dass 1988 in den Weinbergen oberhalb der Zaungartenstraße in Dernau eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Opfer des Lagers „Rebstock“ mit folgendem Wortlaut angebracht wurde:
- Zum Gedenken an das Außenlager des KZ Buchenwald 21.08.1944 – 13.12.1944 und allen Opfern des Nationalsozialismus und den Lebenden zur Mahnung
Der Gemeinderat Dernau hatte eine solche Tafel zunächst abgelehnt. Nach einem eindringlichen Appell des damaligen Ortsbürgermeisters von Dernau, Wilhelm Josef Sebastian, fasste der Gemeinderat dann aber einen einstimmigen Beschluss für die Tafel.
Weitere Forschungen ergaben, dass diese Tafel eigentlich in Marienthal hängen müsste, weil die Buchenwald-Häftlinge zwischen dem 21. August und dem 13. Dezember 1944 dort untergebracht waren. Die 300 KZ-Häftlinge aus Tiercelet waren für die Zeit vom 2. bis 21. September 1944 organisatorisch dem KZ Buchenwald zugeordnet.
Siehe auch
- Erinnerungsstätte Lager „Rebstock“ (Marienthal)
- Gedenktafel zur Erinnerung an die Opfer des Lagers „Rebstock“ (Dernau)
- Moses Friedmann
- Matthias Hilger
- Arie van Houwelingen
- Josef Juralewitsch
- Leni Linden
- Leni Menzen
- Wilma Radermacher
- Erwin Ritzrow
- Gertrud Schneck
- Karl-Heinz Schnitzler
- Karl Heinz Schumacher
- Moshe Shen
- Gyorgy Stein
- Josef Weidenbach
Mediografie
Bücher
- Matthias Bertram: Untertageverlagerung Geheimkommando 'Rebstock' – Menschen und Fakten, Erinnerungskultur in Deutschland, 154 Seiten, 9,90 Euro, ISBN 978-3-95631-656-2[3]
- Martin Broszat: Anatomie des SS-Staates, Band 2. München 1982
- Dietrich Eichholtz: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945, München 2003
- Daniela Geppert: Zwischen allen Stühlen – Die Geschichte der italienischen Militärinternierten 1943-45
- Wolfgang Gückelhorn: Lager Rebstock. Geheimer Rüstungsbetrieb in Eisenbahntunnels der Eifel für V2 Bodenanlagen 1943–1944, Helios-Verlag, Aachen, ISBN 3-938208-30-9
- Wolfgang Gückelhorn: KZ-Außenlager Rebstock in Marienthal und Dernau, in: Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler 2015, Seiten 209-211
- Wolfgang Gückelhorn: Das Lager Rebstock 1943/44 – Rüstungsbetrieb und KZ im Ahrtal, Reihe Blätter zum Land, Band 70, 20 Seiten, hrsg. Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, 2016 (pdf, 21 Seiten)
- Ulrich Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, Bonn 2003
- Uli Jungbluth: Wunderwaffen im KZ "Rebstock". Zwangsarbeit in Dernau/Rheinland-Pfalz und Artern/Thüringen im Dienste der V-Waffen, Briedel: Rhein-Mosel-Verlag 2000, ISBN 978-3929745658
- Sven Jüngerkes: Deutsche Besatzungsverwaltung in Lettland 1941-1945, Konstanz 2010
- Hans Mommsen/Manfred Grieger: Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, Düsseldorf 1996
- Gerhard Schreiber: Die italienischen Militärinternierten im deutschen Machtbereich 1943 bis 1945, München 1990
- Moshe Shen: Überleben in Angst, Wolfsburg 2014
- Jens-Christian Wagner: Produktion des Todes – Das KZ Mittelbau-Dora, Göttingen, 2015
- Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte: KZ-Bildbericht aus fünf Konzentrationslagern, 1945
- Matthias Bertram: Wie konnte es passieren - Regierungsbunker, KZ im Ahrtal, Lager Rebstock? Fallanalyse zur Erinnerungskultur, 244 Seiten, März 2021, 14,90 Euro, ISBN 978-3-95631-829-0 - In einer Werbeanzeige zu dem Buch hieß es: „Analysiert wird, wie es möglich war, dass sich über Jahrzehnte Unwahrheiten so verfestigen konnten, dass die historischen Fakten nicht mehr zu erkennen waren. Nicht nur ein bekannter Krimiautor hatte entscheidenden Anteil, sondern auch vom Land bezahlte "Gedenkfachleute" sorgten für die Verbreitung von Falschinformationen zu einem angeblichen KZ-Rebstock im Ahrtal. Dies selbst dann noch, als öffentlich allgemein bekannt war, dass diese Behauptungen keinen seriösen Ursprung hatten. Im Buch wird analysiert, wer die Haupttreiber dieser Falschnachrichten waren und was getan werden könnte, um doch noch zu einem würdigen unverfälschten Gedenken zu kommen. Der Autor schließt mit einem Vorschlag, wie dies im konkreten Fall umgesetzt werden könnte.“[4]
- Manfred Grieger: „Rebstock“ und „Rebstock (Stephan)“ – zwei Außenlager im Konzentrationslager-System bei Marienthal und Dernau, August bis Dezember 1944, 200 Seiten, 2021
Video
Rainer Urbanke: Lager Rebstock – Zwangsarbeit im Ahrtal, ca. 44 Minuten, 2022
Beiträge in Tages- und Wochenzeitungen
- Matthias Bertram: Neue Hinweise zum „Lager Rebstock“ in Dernau – Was geschah mit Zwangsarbeitern aus Amersfoort im Ahrtal?, blick-aktuell.de vom 21. Mai 2019
- Frieder Bluhm: Bundesanstalt will bei Gedenkstätte in Marienthal helfen, rhein-zeitung.de vom 6. September 2013
- Frieder Bluhm: Lager Rebstock: Stimmen die Opferzahlen? Initiator Wolfgang Gückelhorn will Kritiker im Faktencheck widerlegen, in: Rhein-Zeitung vom 10. Januar 2018
- Frieder Bluhm: Grauen ist in Zahlen unfassbar – Faktencheck zur Gedenkstätte Lager Rebstock bringt keine Klarheit, in: Rhein-Zeitung vom 13. Januar 2018
- Günther Schmitt: Der Erinnerung nachgeholfen - Das beinahe vergessene KZ, general-anzeiger-bonn.de vom 14. Oktober 2014
- Günther Schmitt: Das Konzentrationslager "Rebstock": Von Braun, die V2 und das KZ, general-anzeiger-bonn.de vom 15. April 2016</ref>
- Günther Schmitt: Gedenkstätte: "Faktencheck" zum Lager "Rebstock" läuft ins Leere, general-anzeiger-bonn.de vom 13. Januar 2018
- Anton Simons: KZ-Außenlager „Rebstock“: Für die SS ein einträgliches Geschäft – Kreis-VHS und Landeszentrale für politische Bildung luden zu einer Exkursion mit dem Militärhistoriker Wolfgang Gückelhorn ein, blick-aktuell.de vom 3. Mai 2016
- Thomas Weber: Vortrag in Ahrweiler: Neue Rebstock-Opferzahlen, general-anzeiger-bonn.de vom 1. Dezember 2016
- Rebstock – ein vergessenes KZ-Außenlager? Gedenken an drangsalierte Menschen, in: Rhein-Zeitung vom 16. Oktober 2017
- Im Mai 1943 begannen die Tunnelarbeiten – Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge mussten Lager Rebstock schuften, in: Rhein-Zeitung vom 16. Oktober 2017
- Rebstock – ein vergessenes KZ-Außenlager?, rhein-zeitung.de vom 27. Oktober 2014
- Rhein-Zeitung vom 14. Juni 2013 und vom 14. April 2016
- „Lager Rebstock“ sorgte für kontroverse Diskussion – Viele Fragen blieben offen, blick-aktuell.de vom 21. Januar 2018
- Beate Au: Lager „Rebstock“: Studie ist neue Basis für Gedenken, rhein-zeitung.de,
- Anton Simons: Studie zum KZ-Außenlager Rebstock: „Tragfähiges Fundament“ fürs Gedenken, ga.de, 9. Juli 2021
Weblink
Wikipedia: KZ-Außenlager Rebstock
Fußnoten
- ↑ Quelle: Manfred Grieger: „Rebstock“ und „Rebstock (Stephan)“ – zwei Außenlager im Konzentrationslager-System bei Marienthal und Dernau, August bis Dezember 1944, 200 Seiten, 2021, S. 133 f.
- ↑ Quelle: Wolfgang Gückelhorn, Aufstellung vom 3. Mai 2021
- ↑ Siehe auch: Günther Schmitt: Schriftsteller aus dem Kreis Ahrweiler – Autoren aus Ahrweiler veröffentlichen Bücher über das Dritte Reich, general-anzeiger-bonn.de vom 6. Mai 2018
- ↑ Quelle: Text einer Werbeanzeige in: Stadtzeitung Bad Neuenahr-Ahrweiler, Nr. 12/2021, S. 39, siehe auch: „Wie konnte es passieren?“: Matthias Bertram hat ein neues Buch zur NS-Zeit veröffentlicht - Dernauer Autor räumt mit Fehlinformationen zum Lager Rebstock auf, blick-aktuell.de, 8. April 2021)